Ein zentrales Element der Esoterik ist die Annahme einer verborgenen, nicht sichtbaren Welt aus kosmischen Energien, Schicksalsfügungen, Reinkarnations- und Karmadenken. Doch die unpolitisch erscheinende Esoterik umfasst eine Vielzahl unterschiedlicher Strömungen, deren Übergänge in Verschwörungstheorien und rassistische Ideologien fließend sein können. Esoterik an sich ist keine Bedrohung für die Demokratie und vertritt auch nicht zwangsläufig anti-demokratisches Gedankengut. Jedoch gibt es spezifische Elemente und inhaltliche Grundannahmen in der Esoterik, die mit Blick auf Verschwörungsdenken und rechtsextreme Weltbilder beachtet werden sollten und im Folgenden illustrativ gezeigt werden. So sehen sich Esoteriker und Anhänger von (rechtsextremen) Verschwörungstheorien als Erleuchtete mit exklusivem, geheimen Wissen, welches sie von der Masse abgrenzt und den Wissenden die Möglichkeit der Überhöhung der eigenen Gruppe gibt. Esoterische und rechtsextreme Weltbilder teilen Überlegenheitsphantasien, Annahmen der Ungleichwertigkeit, Irrationalität und die Ablehnung von Wissenschaft und Medien, sowie das Denken in Feindbildern. In diesem Beitrag werden über die geteilten Grundannahmen hinaus auch die thematischen Überschneidungspunkte der Esoterik und des Rechtsextremismus ausformuliert sowie die Funktionen der Esoterik in modernen Gesellschaften kurz beleuchtet.
Ideologische Schnittmengen von Esoterik, Rechtsextremismus und Verschwörungstheorien
Aktuelle wissenschaftliche Debatten zeigen, dass sich in Teilen der Esoterik, im Verschwörungsdenken und im Rechtsextremismus vier gemeinsame zentrale Elemente finden lassen.
(1) Elitärer Erkenntnisanspruch & Neo-Gnosis: Ähnlich wie bei Verschwörungstheorien stützt sich die Esoterik auf einen aus verborgenem Geheimwissen abgeleiteten elitären Erkenntnisanspruch, dem ein höherer Wahrheitsgehalt als wissenschaftlichen Erkenntnissen zugesprochen wird. Das esoterische, höhere Wissen aus geheimen, unterdrückten Quellen ist somit wissenschaftlich-rationalem Wissen übergeordnet (Neo-Gnosis). Diese Annahme macht nicht nur die Überprüfung und Widerlegung dieses Wissens schwierig bis unmöglich, sondern verleiht ihm auch eine Aura der Exklusivität: Das Wissen erschließt sich nicht jedem, sondern nur besonders sensiblen und erleuchteten Personen, die durch ihr Überwissen zur unhinterfragten Autorität werden. Die Grenzziehung zwischen den wissenden, erleuchteten Personen und der unwissenden Mainstream-Masse, in rechtspopulistischen/-extremistischen Kreisen als „Schlafschafe“ betitelt, etabliert so Autoritäten und Hierarchien. Die Behauptung natürlicher Hierarchien findet man auch im Rechtsextremismus in der Ausgrenzung „anderer“ über sozialdarwinistische Ansichten des Rechts des Stärkeren und der Unterscheidung von lebenswertem und lebensunwertem Leben. Rechtsextreme Verschwörungserzählungen stützen sich ebenfalls häufig auf Erkenntnisse aus vermeintlich geheimen Quellen. Beispiele dafür sind die gefälschten Protokolle, die eine angeblich geplante jüdischen Weltherrschaft enttarnen („Protokolle der Weisen von Zion“), Informationen über geplante Bevölkerungsaustausche („Großer Austausch“) oder „Q-Drops“, die angebliche Geheiminformationen der US-amerikanischen Regierung erhalten.
(2) Misstrauen in Medien, Demokratie und Wissenschaft: Ein weiteres gemeinsames Element neben der Grenzziehung zwischen „Wissenden“ und „Unwissenden“ ist in der Ablehnung evidenzbasierter Medizin, institutioneller Religion und gesellschaftlichen Institutionen zu finden. Diese anti-institutionelle Einstellung von Esoterikern zeigt Parallelen zu dem Misstrauen in Wissenschaft, Politik und Politiker, die ebenso im verschwörungstheoretischen und rechtsextremen Lager anzutreffen sind. Die Ablehnung der modernen und evidenzbasierten Medizin und stattdessen die Fokussierung auf Verfahren wie Naturheilkunde, Homöopathie oder Anthroposophie basiert auf Vorstellungen natürlicher Lebensweisen, auf die ein Teil der Esoteriker implizit wie auch explizit ein Recht auf Widerstand begründen. Dieses Recht auf Widerstand zeigt sich beispielhaft in der generellen Ablehnung von Impfungen, dem Vorwurf einer vermeintlichen gesundheitspolitischen Fremdbestimmung („Impfdiktatur“) und Demonstrations-Slogans wie „Mein Körper – Meine Entscheidung“.
(3) Komplexitätsreduktion und Irrationalität: Esoterik und Verschwörungsglauben ist ebenso ein „ausgeprägter Irrationalismus“ gemein, der durch intuitives „Überwissen“ zu einer verschwörungsesoterischen Weltsicht“ führt.[1] Komplexe Sachverhalte werden auf verkürzte Wirkungsmuster reduziert und lassen vereinfachende Weltbilder aus „Gut“ und „Böse“ entstehen, in dem ein manichäisches Weltbild entsteht. Die in der Esoterik praktizierte intuitiv-spirituelle Erkenntnisgewinnung und die Akzeptanz irrationaler übersinnlicher, verborgener Erklärungen sind auch im Verschwörungsdenken präsent. Rechtspopulistische Argumentationsmuster beinhalten ebenfalls eine Ablehnung rationaler Diskurse und eine stringente Komplexitätsreduktion, die es ermöglicht, Feindbilder zu schaffen und Sündenböcke zu finden. So dient die Irrationalität als Kitt, der Wissenslücken überbrückt, Versatzstücke aneinanderreiht und zu einem geschlossenen Glaubenssystem macht.
(4) Totalitätsanspruch: Das Sinn- und Deutungssystem der Esoterik stützt sich, wie das der Verschwörungstheorien auch, auf Annahmen, dass 1) nichts durch Zufall passiert, 2) nichts so ist, wie es scheint und 3) alles miteinander zusammenhängt.[2] In der Esoterik sind diese Elemente in einem Denken in Entsprechungen zu finden, welches Natur und Mensch in eine kosmische Gesetzmäßigkeit stellt. So ist die Welt des Menschen ein kleines spiegelbildliches Abbild des großen Kosmos. Beide stehen miteinander in gleichzeitiger universaler Verbundenheit und Beeinflussung. Die Analogie des Mikrokosmos-Makrokosmos erstreckt sich als esoterische Ganzheitlichkeit (Holismus) auf alle Lebensbereiche. So können Krankheiten auf höhere Gesetzmäßigkeiten und selbstverschuldete Ursachen zurückzuführen sein. In den Vorstellungen von Reinkarnation und Karma kann eine Täter-Opfer-Umkehr entstehen, in der Krankheit, Schicksalsschläge und Tod als selbstverschuldet dargestellt werden.
Inhaltliche Überschneidungen
Neben zentralen Grundelementen gibt es Themenbereiche, die eine Kreuzung von Esoterik, Rechtsextremismus und Verschwörungstheorien beispielhaft verdeutlichen. Die inhaltliche Überschneidung von Elementen der Esoterik, der New-Age-Spiritualität und Verschwörungstheorien wurde von den Sozialwissenschaftler:innen David Voas und Charlotte Ward als Conspirituality (Konspiritualität) bezeichnet.[3] Ein Beispiel für die in Deutschland verbreitete Conspirituality-Szene sind die Bücher des geschichtsrevisionistischen Autors Jan Udo Holey, der unter dem Pseudonym Jan van Helsing publiziert. Seine Bücher verbinden Esoterik, germanische Mythologie, die Protokolle der Weisen von Zion und die Behauptung einer jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung in Form von Science-Fiction-Romanen. Seine mehrbändigen Bücher, die während der politischen Umbrüche nach dem Ende der Sowjetunion viel Anklang gefunden hatten, wurden 1996 wegen antisemitischer Volksverhetzung vom Verfassungsschutz verboten.[4]
Während der Corona-Pandemie nutzte Holey Bedürfnisse in der Bevölkerung nach alternativen Erklärungen geschickt aus. Er publizierte mehrere verschwörungstheoretische Bücher, in denen er behauptet, es gäbe eine „kleine Elite“, die die „Welt an sich reißen und privatisieren will“ und Corona als Tarnung für einen Finanzcrash nutze, um das Bargeld abzuschaffen, Zwangsimpfungen und das Chippen von Menschen voranzutreiben. Ziel sei es, die Weltbevölkerung zu halbieren und eine „links-grüne Neue Weltordnung“ zu etablieren.[5] In seinem Blog „Die Unbestechlichen“ setzt Holey auf eine rechtspopulistische Kommunikationsstrategie, die durch Dramatisierungen, Angst und Spannungsbögen sowie Clickbait-Überschriften eine alternative Realität zu erschaffen versucht.
Am deutlichsten zeigen sich Vermischungen von esoterischem, antidemokratischem und antisemitischem Gedankengut auf der einen und Verschwörungstheorien auf der anderen Seite in Behauptungen der Existenz ungleichwertiger Rassen. Ursprünge rassistischer Vorstellungen finden sich in der theosophischen Lehre der „Wurzelrassen“, in der „menschliche Rassen“ unterschiedlichen Entwicklungsstufen entsprechen.
Am deutlichsten zeigen sich Vermischungen von esoterischem, antidemokratischem und antisemitischem Gedankengut auf der einen und Verschwörungstheorien auf der anderen Seite in Behauptungen der Existenz ungleichwertiger Rassen. Ursprünge rassistischer Vorstellungen finden sich in der theosophischen Lehre der „Wurzelrassen“, in der „menschliche Rassen“ unterschiedlichen Entwicklungsstufen entsprechen. Die rassistisch-okkulten Ideologien der Ariosophie bauen hierauf auf indem sie behaupten, dass die weiße Rasse der Ario-Germanen einer minderwertigen dunklen „Tschandala-Rasse“ überlegen sei. Die rassistischen Überzeugungen bilden eine Brücke zwischen dem Neopaganismus, einer esoterisch-neureligiösen „heidnischen“ Bewegung, die sich an ethnisch-vorchristlichen, antikem, keltischem, germanischen und slawischen Glaubensvorstellungen und Mythologien orientiert, und dem Rechtsextremismus. Zwar ist die politische Ausrichtung neopaganer Gruppen sehr heterogen, es finden sich jedoch deutliche Anknüpfungspunkte zwischen Neopaganismus und rechtsextremen Rassenideologien etwa in der „Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V.“ Diese völkische, rassistische, sozialdarwinistische, antisemitische und antichristliche Vereinigung bezeichnet sich selbst als die größte und älteste germanisch-heidnische Glaubensgemeinschaft in Deutschland und bezieht ihre Verhaltensregeln aus seinem „Sittengesetz unserer Art“, „um die Menschengruppe, aus der wir hervorgegangen sind, bestands- und entwicklungskräftig zu halten“.[6] Diesem Sittengesetz zufolge ist „Rassenmischung“ oder der „Verzicht auf Nachkommen“ eine Sünde und die „Reinheit des Erbes sittliche Verpflichtung“. Die Artgemeinschaft wendet sich auch gegen „Liberale“, die „heute durch Beseitigung der Staatsgrenzen ungebremste Masseneinwanderung zulassen“.[7] Der Mörder des Kasselers Regierungspräsidenten Walter Lübcke und auch der verurteilte NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben hatten Kontakt zu der Vereinigung.[8]
Esoterische Lebensbewältigungsstrategie?
Die Esoterik, wie wir sie heute kennen, war ursprünglich eine Reaktion auf Individualisierungsprozesse Anfang des 20. Jahrhunderts und kann als Gegenbewegung auf als negativ empfundene Folgen der Moderne verstanden werden. Rationalität und Wissenschaft brachten die modernisierungskritische Lebensreformbewegung mit ihrem Rekurs auf Spiritualität und den Einklang von Natur und Mensch hervor, deren bekanntester Vertreter Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie und Waldorfpädagogik, war. Esoterik und Verschwörungsglaube sind immer auch als Zeichen gesellschaftlicher Missstände und Umbrüche zu verstehen und fungieren in Krisenzeiten als Haltgeber und Bewältigungsstrategie. Hinter der Hinwendung zu Esoterik und Verschwörungstheorien stehen emotionale Grundbedürfnisse, wie die Wiedererlangung von Kontrolle, Sicherheit und Heilung. Die Ablehnung von Schutzimpfungen gegen SARS-CoV-2 mit dem Hinweis auf die Stärke des eigenen Immunsystems sind dafür prominente Beispiele. Die in der neuheidnischen Zivilisationskritik ebenfalls geäußerte Befürchtung einer transhumanistischen Synthese von Mensch und Maschine zeugt von Zukunftsängsten vor einer entfremdeten Welt, in der Menschen und „menschliche“ Aspekte wie Spiritualität, Karma, Seele und Wiedergeburt keinen Raum mehr haben.
Die Rückbesinnung auf das eigene, authentische Ich als einzige Erkenntnisquelle und als Lebensbewältigungsstrategie in einer zunehmend technologisierten, als schnelllebig erlebten Welt kann polarisierende Wirkung entfalten. Der Rückzug ins Private, kombiniert mit Abgrenzungsprozessen, die sich aus einem spirituellen, elitären Überwissen speisen und in denen sich die „Erleuchteten“ über die „blinde“ Allgemeinheit stellen, kann zu Wahrnehmungsverschiebungen führen, in denen Menschen keinen gemeinsamen Grundkonsens mehr finden.
Die Rückbesinnung auf das eigene, authentische Ich als einzige Erkenntnisquelle und als Lebensbewältigungsstrategie in einer zunehmend technologisierten, als schnelllebig erlebten Welt kann polarisierende Wirkung entfalten. Der Rückzug ins Private, kombiniert mit Abgrenzungsprozessen, die sich aus einem spirituellen, elitären Überwissen speisen und in denen sich die „Erleuchteten“ über die „blinde“ Allgemeinheit stellen, kann zu Wahrnehmungsverschiebungen führen, in denen Menschen keinen gemeinsamen Grundkonsens mehr finden. Ein solcher Konsens in Form von „Mainstream-Narrativen“ ist jedoch wichtig, damit Menschen sich nicht irrationalen und menschenfeindlichen Narrativen zuwenden. Esoterik kann aufgrund der oben aufgezeigten inhaltlichen Überschneidungen mit Verschwörungstheorien und rechtsextremem Gedankengut ein Einfallstor für diese sein. Die Nachfrage nach esoterischen Angeboten und Dienstleistungen ist immer jedoch auch ein Indikator für gesellschaftliche Krisenlagen, in denen Menschen nach Sicherheit und Orientierung suchen.
Den Denkanstoß für diesen Blogbeitrag gaben Vorträge, die Podiumsdiskussion und bilaterale Gespräche während der Veranstaltung „Esoterik und Demokratie“, organisiert von der Bundeszentrale für Politische Bildung, 05.09. – 06.09.2022, Fulda.
[1] Pöhlmann, Matthias (2021): Rechte Esoterik: Wenn sich alternatives Denken und Extremismus gefährlich vermischen. Herder, Freiburg im Breisgau.
[2] Barkun, Michael (2003): A Culture of Conspiracy. Apocalyptic Visions in Contemporary America, Berkeley, Los Angeles
[3] Ward, Charlotte und Voas, David (2011): The Emergence of Conspirituality, Journal of Contemporary
Religion, 26: 1, 103 — 121.
[4] Pöhlmann, Matthias (2021): Rechte Esoterik: Wenn sich alternatives Denken und Extremismus gefährlich vermischen. Herder, Freiburg im Breisgau, S. 141-142.
[5] DeRolf, Eileen und van Helsing, Jan (2020): Wir töten die Halbe Menschheit, Amadeus-Verlag.
[6] Rieger, Jürgen (o. J.): Sittengesetz unserer Art. Die Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V., Hamburg
[7] Rieger, Jürgen (o. J.): Sittengesetz unserer Art. Die Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V., Hamburg
[8] Kleine Anfrage zur Vernetzung rechtsextremer Vereine und Organisationen, Drucksache 19/15520, 27.11.2019