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Mit der Verdrängung extremistischer Akteure von Mainstream Social Media Plattformen haben rechte Alternativplattformen an Bedeutung gewonnen. Während sie propagieren, dass ihre Plattformen frei von Moderation ist, zeigt die Praxis, dass sie alles andere als regellos operieren, sondern bestimmten Logiken folgen. Maik Fielitz geht in seinem Beitrag der Frage nach, wie die Verantwortlichen Regeln an jene anlegen, für die die Regellosigkeit der Plattformen der größte Anreiz war.

Spätestens seit der Übernahme Twitters durch den Multi-Milliardär Elon Musk wird eines deutlich: Wer die Macht über die Regeln des digitalen Austauschs besitzt, hat einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Gestaltung der “Social Media Öffentlichkeit” (social media public sphere). Der Soziologe Paolo Gerbaudo beschreibt mit diesem Begriff die hegemoniale Position sozialer Medien in der Strukturierung öffentlicher Debatten, die soziale Identität, Intergruppenkonflikte und politische Entscheidungsfindungen beeinflussen. Netzwerkeffekte trugen zu einer Zentralisierung digitaler Kommunikation auf wenige Plattformen bei, was den Eindruck erweckte, Twitter und Co. seien Gatekeeper der globalen Öffentlichkeit, indem sie die Regeln und Grenzen des Diskurses definieren.

Je hegemonialer die Plattformen wurden, desto mehr regten sich von demokratischer wie anti-demokratischer Seite Zweifel und Protest gegen die Macht der Plattformen. Viele Maßnahmen der Selbstregulierung (von der Anpassung der Algorithmen, der Löschung von Hasspostings bis zur Sperrung von Profilen) führten angesichts gesellschaftlicher Polarisierung zu weiterem Konfliktpotenzial. Viele Menschen suchten nach alternativen Wegen eines freien Austausches und kehrten dem auf Werbeeinnahmen beruhenden Geschäftsmodell dominierender Social Media Konzerne den Rücken zu. Auf rechter Seite bildete sich seit 2016 eine Technologie-Bewegung – Alt-Tech -, die Plattformen für den Austausch diskriminierender und rechtsextremer Inhalte bereitstellen, die aus dem digitalen Mainstream verbannt wurden.

Diese Plattformen warben mit einem Modell absoluter Redefreiheit und versprachen, sich aus moderativen Prozessen herauszuhalten. Mit Vertretern wie Gab, Parler, Gettr, Truth Social, Odysee und Bitchute entstand ein vielfältiges Ökosystem von rechtsextremen und rechtsoffenen Alternativplattformen, die vorgaben, im harten Gegensatz zu den als Zensoren beschriebenen Mainstream-Plattformen zu operieren. Als Orte des freien Austauschs würden sie mit einer linken Agenda brechen und dem ‘Canceln’ von konservativen Stimmen ein Ende bereiten. Doch zeigt die Entwicklung der Alternativplattformen, dass sie alles andere als regellos operieren, sondern bestimmten Logiken folgen, die ihre Infrastruktur als lose erscheinen lassen. Eine Frage, die stets hervortritt: Wie legen die Verantwortlichen Regeln an jene an, für die die Regellosigkeit der Plattformen der größte Anreiz war?

Das (unerfüllte) Versprechen von absoluter Redefreiheit

Der freie, ungehinderte Austausch unter rechtsextremen Gruppen und Individuen war seit jeher ein treibender Faktor in der Entwicklung eines rechten Publikationssektors, der das Rückgrat für Kontinuität und Debatte rechtsextremer Bewegungen darstellt. Zeitschriften und Buchreihen, aber auch Flyer und Flugblätter waren wichtige Kommunikate für ein Milieu, das kaum Zugang zu den Mainstream-Medien hatte. Die Digitalisierung änderte die Positionierung von diskriminierenden Inhalten durch die freie und kostenlose Zirkulation über das Internet und schließlich auch die partizipative Kultur der sozialen Medien. Neue Bewegungen und Subkulturen bildeten sich über digitale Plattformen, welche kaum Konzepte für den Umgang mit extremistischen und terroristischen Inhalten bereithielten und so zu einem gewissen Grad zur Mobilisierung kooptiert wurden.

Spätestens seit Trump und Brexit, deren Kampagnen die manipulative Kraft des politischen Marketings erahnen ließen, und seitdem auch in Sicherheitsbehörden verstanden wurde, wie zentral die Plattformen für die Organisation von rechtsextremen Gewaltereignissen wie in Charlottesville und Christchurch sind, nahmen Plattformen eine stärker selbst-regulative Rolle ein – auch um politischer Regulierung zuvorzukommen. Es entwickelten sich Policies zur Sicherheit der User:innen auf den Plattformen und zur Verbannung von Hassrede und Hassakteuren. Der zunehmende öffentliche Druck hatte zur Folge, dass sich Plattformen stärker in aktuellen politischen Debatten positionieren mussten, um ihre gesellschaftliche Rolle wahrzunehmen. Dies war die Stunde von Alternativplattformen, die jegliche Begrenzung des digitalen Austausches als eine Form der Bevormundung verstanden und freie Rede auf ihren eigenen Plattformen reklamierten.

Abbildung 1: Werbematerial von Alternativplattformen

Die Alt-Tech Plattformen waren für viele politische Aktivist*innen ein sicherer Ort, um sich frei auszutauschen, Netzwerke aufzubauen/aufrechtzuerhalten und Lebenszeichen auszusenden. Während in den USA die Plattformen seit 2017 (und den ersten ‘Löschwellen’ nach der gewalttätigen Unite the Right Demonstration) eine gewisse Lücke füllten, konnte sich im deutschen Kontext bis dato nur der Messenger-Dienst Telegram als Ausweichplattform etablieren, insbesondere für diejenigen, die von großen Plattformen deplatformed wurden. Spätestens mit der Sperrung des Twitter-Accounts von Donald Trump, nach den Capitol Hill Riots im Januar 2021, nahmen Plattformen wie Gettr und Parler vermehrt rechtspopulistische und -konservative Stimmen auf, die sich eine Followerschaft aufbauen wollten, in der Angst von den großen Plattformen verbannt zu werden.

Dem Versprechen eines ‘Free Speech Absolutismus’ stand allerdings von Beginn an eine Art individueller ‘Brand Safety’ entgegen. Denn während es für rechtsextreme und neonazistische Aktivist*innen kaum toxisch genug sein kann, um ein Momentum zu erlangen, sind repräsentative User*innen mit politischen Ambitionen auf breite politische Bündnisse aus. Auch um in der Öffentlichkeit nicht als Extremist*innen stigmatisiert zu werden, müssen sie sich von fragwürdigen oder unangemessenen Inhalten distanzieren. Dies hat Auswirkungen auf das Moderationsverhalten der Plattformen, die – um an Bedeutung nicht zu verlieren – ihre reichweitestarken Accounts halten müssen.

Dem Versprechen eines ‘Free Speech Absolutismus’ stand allerdings von Beginn an eine Art individueller ‘Brand Safety’ entgegen

Moderationslogiken von Alternativplattformen

Die Interaktionen zwischen Tech-Unternehmen, User*innen, Werbetreibenden, Regierungen und politischen Akteuren legt weitestgehend den Charakter von Plattformen fest. Keine Mainstream oder- Alternativplattform agiert dementsprechend ohne Einfluss von außen. Vielmehr sind sie angehalten, verschiedene Interessen auszugleichen und konkurrieren gleichzeitig mit anderen Plattformen um Einnahmen, Userzahlen und Aufmerksamkeit. Die ideologische Schlagseite trifft hier auf drei reale Sach- und Funktionszwänge, denen sich Alternativplattformen nicht entziehen können: Erstens folgt jede interaktive Plattform einem Wachstumsimperativ. Will eine Plattform für ihre User*innen (und sich selbst) eine Relevanz erarbeiten, muss sie Netzwerkeffekte herbeiführen und sich finanziell absichern. Allerdings führt die Ausweitung der Nutzer*innenbasis und Investor*innen zu Norm- und Zielkonflikten unter den User*innen, insofern jede profitable Plattform auch heterogene Zielpublika anspricht, was eine Verregelung von Konflikten und Regeldurchsetzung wahrscheinlicher macht. 

Dies hat zur Folge, dass – zweitens – zum Schutz der User*innen Plattformen moderiert  und die Grundsätze dazu transparent gemacht werden müssen. Moderation legt in den Worten des Digitalisierungsforschers Tarleton Gillespie nicht nur die Grenzen des Ertragbaren fest, sondern bringt auch verschiedene Selbst- und Fremdwahrnehmungen bei Fragen der Durchsetzung von gesetzten Regeln in Einklang. Da sich die Position aber mit der zunehmenden Erschließung neuer Zielgruppen ändern können, gibt es Early Adopter von Alternativplattformen, die in der Veränderung der Nutzungsbedingung eine Einschränkung ihrer Freiheit sehen. Dies führt – drittens – dazu, dass Alternativplattformen zunehmend in die Pflicht geraten, ihr Handeln zu rechtfertigen. Je weitreichender Plattformen aber als Intermediäre das Geschehen moderieren, selektieren und algorithmisch ordnen, desto mehr müssen sie Policies aufstellen, mit denen sie erklären, warum sie so handeln wie sie es tun. Gepaart mit der Sorge um regulative Eingriffe von außen führt dieser Umstand zur Übernahme von Richtlinien, die viele vor dem digitalen Mainstream haben abwandern lassen.

Was bei Alternativplattformen als wichtiger Faktor hinzukommt, ist die Unsicherheit der infrastrukturellen Absicherung. Alternativplattformen sind abhängig von App-Stores, Zahl-, Cloud- und Internetsicherheitsdiensten sowie von Internetanbietern, die – wie im Fall des rechtsterroristischen Anschlags von Christchurch – den Zugang zu verschiedenen Foren und Plattformen in bestimmten Ländern unterbanden. Die Möglichkeit des Abschaltens von ganzen Plattformen (Deplaformisierung) durch externe Anbieter ist heute das Damoklesschwert, das über den Alternativplattformen hängt. Es zeugt von einer gewissen Ironie, dass Fragen der infrastrukturellen Metastruktur von Plattformen im Falle der Musk-Übernahme, nun auch auf etablierte Plattformen wie Twitter zutreffen.

Alternativplattformen sind abhängig von App-Stores, Zahl-, Cloud- und Internetsicherheitsdiensten sowie von Internetanbietern, die den Zugang zu verschiedenen Foren und Plattformen in bestimmten Ländern unterbanden.

Das umkämpfte Terrain rechter Gegenöffentlichkeit

Alternativplattformen haben in den vergangenen Jahren eine enorme Professionalisierung der Funktionalität erreicht, ohne allerdings mit markanten Netzwerkeffekten dafür belohnt worden zu sein. Dies liegt zu einem großen Teil an dem eng umkämpften Terrain eines lautstarken, aber zahlenmäßig noch weitgehend überschaubaren Milieus. Um hier zu bestehen, laden Plattformen wie Gettr neue (vermeintlich prominente) User*innen bereits mit dem Versprechen ein, sie zu monetarisieren. Andere setzen auf Blockchain-Technologien zum selben Zweck.

Zugleich kommt Twitter unter Musk mit dem Replatforming gesperrter Accounts eine neue Bedeutung für das rechtsalternative Spektrum zu. Allein die wenigen Wochen seit dem 27. Oktober zeigen, dass sich die Regeln und Logiken der Organisation und Moderation sehr schnell ändern können und der Twitter-Effekt zu einer noch stärkeren Willkür in der Gestaltung der Regeln und des Designs führen. Mit dem Verweis auf eine ausgedehnte Redefreiheit ist der Anreiz gegeben, demokratiefeindliche Parolen wieder stärker im Twitter-Mainstream zu teilen. Musk ist sich bewusst, dass sein Feldzug gegen einen vermeintlich linken Zeitgeist in Social Media Kreisen wohlwollend am rechten Rand wahrgenommen wird. Zugleich stellt sich die Frage, welche Rolle Alternativplattformen noch spielen, wenn sich die Gründe des Zuwachses zunehmend selbst auflösen.
Dieser Blogbeitrag beruht auf einem Vortrag, der am 13. Oktober auf der Tagung des Institute for Strategic Dialogue “Im toten Winkel” gehalten wurde.

Maik Fielitz

Author Maik Fielitz

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