In den letzten Jahren haben Verschwörungstheorien im öffentlichen Diskurs zunehmend an Bedeutung gewonnen: ein komplexes Phänomen, das sowohl kulturelle, politische, soziale als auch psychologische Bereiche unserer Gesellschaft tief durchdringen kann und damit unsere Gesellschaft vor Herausforderungen stellt. Das wachsende Bewusstsein darum, dass Verschwörungstheorien häufig als Katalysator genutzt werden, um Hass auf Minderheiten zu schüren und sogar als Legitimation für Gewalttaten dienen können, hat Akteure der politischen Bildung, Medien, Wissenschaft und Zivilgesellschaft dazu veranlasst, verstärkt Aufklärungsarbeit zu leisten und falsche Behauptungen richtigzustellen. Parallel dazu hat sich aber auch die Art und Weise, wie wir über dieses Phänomen sprechen, verändert.
Während einst überwiegend von Verschwörungstheorien die Rede war, haben heute Begriffe wie Verschwörungsmythos, Verschwörungsideologie, Verschwörungsmentalität oder Verschwörungserzählung Einzug in die öffentliche Debatte gefunden. Diese Begriffsvielfalt ist Ausdruck davon, dass der klassische Terminus Verschwörungstheorie von vielen heutzutage als unangemessen oder irreführend empfunden wird. Gleichwohl nutzen andere ihn weiterhin, lehnen hingegen die neuen Begriffe ab oder nutzen den etablierten Begriff in Kombination mit anderen Bezeichnungen. Dies hat die öffentliche Debatte über ein ohnehin schon komplexes und vielschichtiges Phänomen noch verworrener gemacht. Die Antwort auf die Frage, von was genau wir eigentlich sprechen, wenn wir von von Verschwörungstheorien oder Verschwörungsideologien reden, gestaltet sich immer schwieriger.
Verwendung verschiedener Terminologien im Zeitverlauf (Quelle: Factiva)
In diesem Zusammenhang stellen sich also folgende Fragen: Sollten wir von Verschwörungsmythen, -ideologien oder -theorien sprechen? Was unterscheidet die verschiedenen Terminologien und Ansätze, und was sind die Gründe für und wider die jeweilige Begrifflichkeit? Denn die Wahl des richtigen Begriffs ist keineswegs trivial, da es maßgeblich beeinflusst, wie das Phänomen verstanden, analysiert und in der öffentlichen Debatte behandelt wird, sowie welche politischen oder sozialgesellschaftlichen Handlungsanweisungen sich daraus ergeben können. Derzeit lassen sich diesbezüglich in der Wissenschaft zwei Hauptströmungen in dieser Debatte identifizieren, die jeweils unterschiedliche Positionen zur Terminologie vertreten.
Zentrale Positionen in der Debatte
Die erste Gruppe, die vor allem in der politischen Bildung, der Politikwissenschaft und der Antisemitismus- sowie Extremismusforschung verortet werden kann, plädiert für eine Abkehr vom klassischen Begriff der „Verschwörungstheorie“. Stattdessen befürwortet sie die Verwendung alternativer Begriffe wie Verschwörungsmythos oder Verschwörungsideologie. Diese Begriffe sollen auf semantischer Ebene eine kritische Distanz zum Phänomen schaffen, es aus einer normativen Perspektive klar von anderen Phänomenen abgrenzen und, indem das Suffix -theorie ausgetauscht wird, vermeiden, ihm fälschlicherweise wissenschaftliche Legitimität zuzuschreiben (siehe z. B. Armin Pfahl-Traughber und Samuel Salzborn).
Die zweite Gruppe, überwiegend bestehend aus Geistes- und Sozialwissenschaftler*innen, erkennt zwar die Schwächen des Begriffs Verschwörungstheorie an, hält die derzeit vorgeschlagenen Alternativen jedoch oft für unzureichend oder sogar kontraproduktiv. Diese Forschenden betonen zudem, dass international weiterhin der Begriff Conspiracy Theory oder der jeweiligen Landessprache entsprechende Termini verwendet werden, während die im deutschsprachigen Raum diskutierten Alternativbegriffe kaum Beachtung finden. Sie sehen in der Einführung dieser Begriffe keinen klaren Mehrwert und warnen vor einer unnötigen Verkomplizierung des Diskurses. Zudem kritisieren sie, dass der neue Sprachgebrauch das Phänomen oft zu stark vereinfacht oder sogar potenziell pathologisierend und stigmatisierend wirken können (siehe etwa Michael Butter, Elzbieta Drazkiewicz-Grodzicka und Peter Knight).
Darüber hinaus existieren weitere Begriffe, die in beiden Strömungen oft verwendet werden und spezifische Teilaspekte des Phänomens beschreiben. Sie dienen als Ergänzung, manchmal aber auch als Synonym, zu den jeweiligen Sammel- oder Dachbegriffen. Zu diesen Begriffen zählen unter anderem Verschwörungserzählung, Verschwörungsnarrative, Verschwörungsglaube und Verschwörungsmentalität.
- Verschwörungserzählung bezieht sich auf die konkrete Geschichte oder die Darstellung eines Sachverhalts, welcher im Rahmen einer Verschwörungstheorie verbreitet wird, oft mit fiktiven oder spekulativen Inhalten. Ein Beispiel für eine konkrete Verschwörungserzählung ist die sogenannte „5G-Verschwörung“, in der u.a. die Behauptung aufgestellt wird, dass der neue Mobilfunkstandard zur Gedankenkontrolle genutzt wird.
- Verschwörungsnarrative umfassen hingegen die wiederkehrenden Muster und Erzählstrukturen, die in verschiedenen Verschwörungstheorien zu finden sind. Dazu gehört beispielsweise das Narrativ einer vermeintlichen „jüdischen Weltverschwörung“, das den antisemitischen Kern vieler Verschwörungstheorien bildet und andere Verschwörungserzählungen auf einer Metaebene miteinander verbindet. Einige Forscher*innen, wie Pia Lamberty schlagen vor, den Begriff Verschwörungsmythos in diesem Verständnis zu verwenden, während andere, wie Radek Chlup, Verschwörungsnarrative als eine Form des politischen Mythos betrachten.
- Verschwörungsglaube beschreibt die Überzeugung, dass geheime Mächte oder Gruppen für bestimmte Ereignisse oder Entwicklungen verantwortlich sind und diese Verschwörungen gezielt verschleiert werden. Der Glaube an solche Verschwörungen kann von einzelnen Ereignissen bis hin zu einer umfassenden Weltanschauung reichen. Verschwörungsmentalität beschreibt dagegen eine Geisteshaltung, die von Misstrauen gegenüber offiziellen Erklärungen und Institutionen geprägt ist und in der diejenigen Menschen mit einer ausgeprägten Verschwörungsmentalität dazu neigen, Ereignisse durch die Linse von Verschwörungen zu interpretieren.
Dass Begriffe in verschiedenen Fachdisziplinen sowie zwischen Forschung, Politik und Zivilgesellschaft unterschiedlich verwendet werden und auch auf transnationaler Ebene teils erheblich voneinander variieren, ist natürlich kein ungewöhnliches Phänomen und gehört zum wissenschaftlichen Alltag. Die Anpassung und kritische Einordnung von Fachtermini in Bezug auf den jeweiligen Untersuchungsgegenstand ist ein wesentlicher Teil der wissenschaftlichen Praxis und insbesondere in einem stark interdisziplinär beforschten Feld und Themenbereich ist dies daher auch keineswegs unüblich. Bemerkenswert an der derzeitigen Debatte ist jedoch, wie schnell sich in Teilen der Fachgemeinschaft und der Öffentlichkeit eine Abkehr von einem jahrzehntelang etablierten Begriff vollzogen hat.
Auffällig ist auch, dass sich im deutschsprachigen Raum eine nahezu komplett eigenständige Debatte über die Terminologie rund um Verschwörungstheorien entwickelt hat, die bisher weitgehend unabhängig von der internationalen Fachwelt geführt wird. Angesichts der gesellschaftlichen Brisanz des Themas Verschwörungstheorien ist es daher umso wichtiger, die zugrunde liegenden Argumente der verschiedenen Positionen genauer zu betrachten und diese auch hinsichtlich zukünftiger Debatten abzuwägen und zu bewerten.
Kritik an der „-theorie“
Die Debatte über die Angemessenheit des Begriffs Verschwörungstheorie ist keineswegs neu. In den USA wurde der Begriff bereits in den 1970er Jahren vor allem aus Kreisen der Sozialwissenschaften kritisiert, da er oft als politischer Kampfbegriff genutzt wurde, um Oppositionelle und Bürgerrechtsbewegungen zu diskreditieren.1 Auch die damals noch junge Forschung zu diesem Thema wird heutzutage kritisch reflektiert. So wurde das als maßgeblicher Initialzünder für die Erforschung von Verschwörungstheorien in den USA geltende Essay aus dem Jahr 1964 von Richard Hofstadter, The Paranoid Style in American Politics, dafür kritisiert, durch eine implizite sprachliche Abwertung und Pathologisierung des Phänomens und seiner Anhänger*innen, zur Stigmatisierung bestimmter Personengruppen beizutragen. Im Gegensatz dazu zeigt sich heutzutage im deutschsprachigen Raum eine andere Perspektive auf die Kritik an diesem Begriff: Hier wird der Begriff vermehrt nicht aufgrund seiner negativen Konnotation, sondern wegen seiner scheinbaren Aufwertung des Phänomens abgelehnt.
Um diesen entgegengesetzten Ansatz zu verstehen, ist es wichtig, die historische Perspektive Deutschlands im Hinblick auf die Aufarbeitung des Nationalsozialismus und des Holocausts zu berücksichtigen. Dieser Hintergrund macht die besondere Sensibilität im Umgang mit dem Thema verständlich, da das gewaltlegitimierende und hassschürende Potenzial von Verschwörungstheorien, wie der der sogenannten „jüdischen Weltverschwörung“, in der Forschung der letzten Jahrzehnte intensiv herausgearbeitet wurde. Aus diesem Grund setzte sich in Teilen der Wissenschaft weniger ein Vorbehalt gegenüber der negativen Konnotation des Begriffs durch als vielmehr die Befürchtung, dass der Begriff selbst schon ein so potenziell gefährliches Phänomen sprachlich aufwerten würde und ihm so eine ungewollte Legitimation verleihen könnte.
Diese Kritik richtet sich in Deutschland daher insbesondere gegen das Suffix „-theorie“. Da Theorien im Allgemeinen mit wissenschaftlicher Methodik assoziiert werden und auf empirischen Beobachtungen, Experimenten und logischen Schlussfolgerungen basieren, stellen sie im Idealfall eine überprüfbare und formalisierte Form der Wissensgenerierung dar. Im Gegensatz dazu zeichnen sich Verschwörungstheorien häufig durch unbelegbare Behauptungen und eine ablehnende Haltung gegenüber dem wissenschaftlichen Konsens aus. In diesem Zusammenhang erscheint das Suffix „-theorie“ tatsächlich als ungeeignet und sogar irreführend, da es, so argumentieren einige Expert*innen, Verschwörungstheorien aufwerten oder gar die Wissenschaft abwerten könnte.
Terminologien prägen den gesellschaftlichen Diskurs – besonders in einer Wissensgesellschaft, in der sich Medien und Politik zunehmend auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützen.
Diese Bedenken sind nicht unbegründet, da auch die Terminologie, die von Wissenschaftler*innen genutzt werden, den gesellschaftlichen Diskurs mitprägt – besonders in einer Wissensgesellschaft, in der sich Medien und Politik zunehmend auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützen. Dass Akademiker*innen sich dieser gesellschaftlichen Verantwortung immer bewusster werden, ist grundsätzlich eine wichtige und positive Entwicklung.
Eine der frühesten und prominentesten Stimmen, die sich im deutschsprachigen Raum gegen die Verwendung des Begriffs „Verschwörungstheorie“ wandte, ist der Politologe und Rechtsextremismusforscher Armin Pfahl-Traughber. In seinem 1993 veröffentlichten Buch Der antisemitisch-antifreimaurerische Verschwörungsmythos in der Weimarer Republik und im NS-Staat prägte er die Begriffe Verschwörungsmythos und Verschwörungsideologie.2 Pfahl-Traughber ordnet dabei die Verschwörungsmythen den Ideologien zu und betonte schon zu diesem Zeitpunkt, dass ihnen die empirische und rationale Beweisbarkeit fehle, sie daher auch sprachlich keinesfalls auf eine Stufe mit wissenschaftlichen überprüfbaren Annahmen – also Theorien – gestellt werden sollten.
Vielmehr schlug er eine dreiteilige Definition des Phänomens vor, in denen er zwischen Verschwörungshypothese, Verschwörungsideologie und Verschwörungsmythos unterschied. Nach diesem Schema wird eine Verschwörungshypothese als mögliches Erklärungsmodell für ein Ereignis oder einen Sachverhalt – eine potenzielle Verschwörung – betrachtet, wobei aber auch andere Erklärungsansätze berücksichtigt werden. Im Gegensatz dazu ist eine Verschwörungsideologie durch eine monokausale Deutung geprägt, die alternative Erklärungen neben jenen der Verschwörung ausschließt. Ein Verschwörungsmythos geht darüber hinaus noch weiter, indem er den Glauben an die Existenz einer Verschwörung so verstärkt, dass keine Selbstreflexion oder Abwägung mehr möglich ist, dabei führt es zudem zu einer Verfestigung der Ablehnung gegenüber der vermeintlichen Tätergruppe oder den Drahtziehern der mutmaßlichen Verschwörung. Die Konstruktion eines Feindbildes steht also diesem Verständnis nach bei einem Verschwörungsmythos im Vordergrund.
Diese Position und Unterteilung wurden in den letzten Jahren von mehreren bedeutenden Institutionen und Akteuren teilweise oder vollständig übernommen. Dazu gehören die Amadeu Antonio Stiftung, das Radicalisation Awareness Network (RAN), die Bundesregierung und die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Dadurch haben sich insbesondere die Begriffe Verschwörungsmythos und Verschwörungsideologie zunehmend im gesellschaftlichen Diskurs etabliert.
Positionen für den Verschwörungstheorie-Begriff
Eine die deutlichste Position gegen diese Entwicklung vertritt Michael Butter, Professor für amerikanische Literatur- und Kulturgeschichte an der Universität Tübingen. Er leitete zusammen mit Peter Knight von 2016 bis 2020 das interdisziplinäre und internationale Netzwerk zur Erforschung von Verschwörungstheorien Comparative Analysis of Conspiracy Theories (COMPACT). Schon in einem 2020 erschienen Zeitungsartikel, kritisierte er das Aufkommen dieser neuen Begrifflichkeiten deutlich. Er widerspricht der Auffassung, der Begriff sei schädlich oder aufwertend. Butter erläutert zudem, dass Verschwörungstheorien, entgegen den Argumenten der Kritiker*innen des Begriffs, in bestimmten Aspekten ähnlich wie Alltags- oder wissenschaftliche Theorien funktionieren. Verschwörungstheoretiker*innen verknüpfen Annahmen, um Erkenntnisse über die Welt zu gewinnen, selbst wenn diese Annahmen oft auf falschen Grundlagen beruhen.
Obwohl im internationalen Fachdiskurs die Sinnhaftigkeit des Begriffs selten im Sinne der zuvor beschriebenen deutschen Debatte hinterfragt wird, lassen sich dennoch Positionen finden, die Michael Butters Haltung zumindest indirekt unterstützen. In der Einleitung ihres Sammelbands What To Do About Conspiracy Theories? thematisieren Elżbieta Drążkiewicz und Jaron Harambam einen zentralen Aspekt der aktuellen Debatte: Forscher*innen, die sich mit gesellschaftlich und sozial relevanten Themen befassen, sind oft von dem Wunsch geleitet, Lösungen für die damit verbundenen Probleme zu finden. Dadurch befinden sie sich in einem Spannungsfeld zwischen akademischer Neutralität und gesellschaftlicher Verantwortung. Dies gilt insbesondere für Verschwörungstheorien, die durch ihre vorgebrachten alternativen Theorien in Konkurrenz zu den sorgfältig erarbeiteten wissenschaftlichen Erklärungen stehen.
Forscher*innen, die sich mit gesellschaftlich und sozial relevanten Themen befassen, sind oft von dem Wunsch geleitet, Lösungen für die damit verbundenen Probleme zu finden.
Diese Beobachtung lässt sich gut auf die Diskussion um die Begrifflichkeit anwenden: eines der Hauptargumente für alternative Begriffe wie Verschwörungsmythos und Verschwörungsideologie besteht darin, Verschwörungstheorien und ihre Anhänger*innen als gesellschaftliches Problem zu kennzeichnen und schon durch den Sprachgebrauch einen kritischen Umgang damit zu fördern. Der Kern der Diskussion in diesem Buch dreht sich daher um die Frage, ob die Wissenschaft aktiv gegen die Verbreitung von Verschwörungstheorien vorgehen oder sich neutral auf deren Beschreibung, Analyse und Interpretation konzentrieren sollte. Eine Terminologie, die diese Debatte vorwegnimmt und nur eine bestimmte Positionierung zulässt, wäre sicherlich nicht im Sinne von Drążkiewicz und Harambam.
Kriterien für die Einführung eines neuen Begriffs
Die Angemessenheit der Einführung eines neuen Begriffs für ein zu erforschendes Phänomen kann anhand mehrerer Faktoren beurteilt werden. Wie bereits dargelegt, ist der Vorsatz, durch den gezielten Wortgebrauch eine kritische Perspektive auf ein als gefährlich wahrgenommenes Phänomen zu stärken, ein legitimer Ansatz. Wenn das Ziel einer neuen Definition zudem darin besteht, das Missbrauchspotenzial wissenschaftlicher Terminologie – etwa durch politische Akteure – zu verringern, verdeutlicht dies das Bewusstsein der Forscher*innen für ihre gesellschaftliche Verantwortung. Sie zeigen dadurch Sensibilität nicht nur im fachlichen Umgang mit spezifischen Begriffen, sondern auch im Hinblick auf deren öffentlichen Gebrauch.
Zusätzlich spielen aber auch weitere Faktoren eine zentrale Rolle bei der Beurteilung der Notwendigkeit einer neuen Terminologie. Entscheidende Kriterien für die Qualität eines neuen Begriffs können unter anderem folgende sein:
- Ist der neue Begriff präziser und eindeutiger als die vorherige Definition?
- Ist er konsistent mit der etablierten Terminologie, sodass er keine Verwirrung stiftet?
- In welchem Maße wird er von der wissenschaftlichen Gemeinschaft akzeptiert?
- Besteht eine aktuelle Notwendigkeit, die eine solche Änderung sinnvoll erscheinen lässt, und ist die Relevanz für das Forschungsfeld gegeben?
Darüber hinaus kann es wünschenswert sein, wenn ein neuer Begriff zur Verbesserung der interdisziplinären Verständlichkeit beiträgt, insbesondere in einem zunehmend komplexen und global vernetzten wissenschaftlichen Umfeld. Außerdem – und das ist in Hinblick auf diesen Sachverhalt von besonderer Bedeutung – sollte eine wissenschaftliche Terminologie dazu dienen, Vorannahmen gegenüber den Untersuchungsgegentand zu minimieren und somit eine Verzerrung der Forschungsergebnisse entgegenwirken.
Unter Berücksichtigung dieser Kriterien kann man zu dem Schluss kommen, dass die Kritik aus Teilen der Fachwelt an den Begriffen Verschwörungsmythos und Verschwörungsideologie durchaus gerechtfertigt ist und diese neuen Begriffe womöglich keinen sinnvollen Ersatz für den etablierten Terminus Verschwörungstheorie darstellen. Denn bei Anwendung der zuvor genannten Kriterien auf die beiden Begriffe offenbaren sich einige Schwächen. So ist beispielsweise fraglich, ob diese eine präzisere und klarere Abgrenzung gegenüber dem traditionellen Begriff der Verschwörungstheorie ermöglichen. Ein weiteres Problem besteht darin, dass die neuen Begriffe oft selbst schwer voneinander abzugrenzen sind und teilweise gleichbedeutend nebeneinander verwendet werden, was die gewünschte Eindeutigkeit beeinträchtigt.
Die Gefahr besteht, dass sich die Debatte auf eine rein normative Klassifizierung von als wahr verstandenen rationalen Fakten und als falsch und irrational zu deklarierende Verschwörungsmythen/-ideologien verengt.
Diese Unschärfe wirkt sich nicht nur auf die jeweilige wissenschaftliche Fachdebatte aus, sondern erschwert sowohl den interdisziplinären Austausch als auch das Verständnis des Phänomens in der Politik und der Zivilgesellschaft. Darüber hinaus liegt in den Definitionen Verschwörungsmythos und Verschwörungsideologie die Gefahr, dass sich die Debatte auf eine rein normative Klassifizierung von als wahr verstandenen rationalen Fakten und als falsch und irrational zu deklarierende Verschwörungsmythen/-ideologien verengt. Dies kann dem Verständnis und Erkenntnisgewinn über das Phänomen und den dahinterstehenden und komplexen Mechanismen entgegenstehen. Zudem besteht die Gefahr, dass die klassifizierenden Definitionen des Konzepts als politisches Instrument zur Ausgrenzung missbraucht werden könnten.
Fazit
Dieser Artikel zielt nicht darauf ab, eine endgültiges Urteil in der Begriffsdebatte herbeizuführen. Auf einer grundsätzlichen Ebene sind solche Debatten wichtig und notwendig, um Forschungsprozesse und -ergebnisse kontinuierlich zu hinterfragen und die zugrunde liegende Fachterminologie sinnvoll zu schärfen und weiterzuentwickeln. Dennoch zeigt sich, dass ein Teil der Wissenschaft – in Verbund mit Medien und Öffentlichkeit – seit einigen Jahren anders über ein gesellschaftlich hochbrisantes Phänomen spricht als der Rest der Fachwelt. Dies hat wiederum Auswirkungen auf unseren Umgang mit diesen Phänomenen.
Der ursprünglichen und vielfach übernommenen Argumentation von Pfahl-Traughber, den alten Begriff abzulehnen und neue Terminologie einzuführen, stehe ich jedoch kritisch gegenüber. Die Forschung der letzten Jahrzehnte hat unser Verständnis von Verschwörungstheorien und ihrer Funktionen in der Gesellschaft erheblich erweitert. Dabei hat sich die Fachwelt bewusst von der pathologisierenden Einordnung des Phänomens distanziert, wie sie etwa zur Zeit Richard Hofstadters noch vorherrschte. Im Fokus der Untersuchung stehen heute zunehmend die funktionalen und sozialen Mechanismen sowie deren gesellschaftliche und politische Implikationen, nicht mehr die bloße Klassifizierung vermeintlicher Anhänger*innen.
Im Fokus stehen heute zunehmend die funktionalen und sozialen Mechanismen sowie deren gesellschaftliche und politische Implikationen, nicht mehr die bloße Klassifizierung.
Mit der Erkenntnis, dass es sich bei Verschwörungstheorien keineswegs um ein Randphänomen handelt,3 wuchs auch das Bewusstsein für einen kritischen und vorurteilsfreien Umgang mit dem Thema. Ein Begriff, der von vornherein eine Wertung impliziert und das Untersuchungsobjekt semantisch abwertet, steht jedoch dieser Entwicklung entgegen. Den Vorwurf, der Begriff Verschwörungstheorie verleihe dem Phänomen zu viel „akademische Ehre“ und stelle es durch die Wortwahl mit Wissenschaftstheorien auf eine Stufe, halte ich ebenfalls für fragwürdig und nicht ausreichend, um als wissenschaftliches Kriterium für die Einführung neuer Terminologie zu dienen.4
Während einerseits Begriffe wie Verschwörungsmentalität, Verschwörungsnarrativ oder Verschwörungserzählung sinnvolle Ergänzungen darstellen, um spezifische Aspekte von Verschwörungstheorien aus verschiedenen Fachperspektiven zu untersuchen, stehen dagegen die Begriffe Verschwörungsmythos, Verschwörungsideologie oder Verschwörungsglaube aufgrund mangelnder eindeutiger Abgrenzungskriterien in Konkurrenz zum etablierten Begriff. Dadurch verkomplizieren sie den Diskurs, während sie zugleich nur wenig dazu beitragen das Phänomen besser einzugrenzen oder zu verstehen.
Aus wissenschaftskommunikativer und pädagogischer Sicht mag die Wahl eines solchen Begriffs zwar intuitiv richtig erscheinen, es bleibt jedoch derzeit noch unklar, ob die sprachliche Abwertung eines Phänomens seitens der Wissenschaft tatsächlich zu einer stärkeren zivilgesellschaftlichen Ablehnung jener kritisierten Entwicklung beiträgt oder möglicherweise sogar das Gegenteil bewirken kann.
Literatur
- Husting, G., & Orr, M. (2007). Dangerous machinery: Conspiracy theorist as a transpersonal strategy of exclusion. Symbolic Interaction, 30(2), S. 127–150. https://doi.org/10.1525/si.2007.30.2.127
Bratich, Z. (2008). Conspiracy Panics. Political Rationality and Popular Culture. https://doi.org/10.1515/9780791478820
↩︎ - Pfahl-Traughber, A. (1993). Der antisemitisch-antifreimaurerische Verschwörungsmythos in der Weimarer Republik und im NS-Staat.
↩︎ - Goertzel, T. (1994). Beliefs in conspiracy theories, Political Psychology, 15(4), S. 731–42.
↩︎ - Pfahl-Traughbert, A. (2002): Bausteine zu einer Theorie über Verschwörungstheorien. Definitionen, Erscheinungsformen, Funktionen und Ursachen. In: Reinalter, H. (Hg.). Verschwörungstheorien. S. 28–41. ↩︎